
Zwischen Mythen und Wahrheit: Die Kelten, die Jahreskreisfeste und die Magie der Schlüsselblume
Dieser Beitrag liegt mir schon sehr lange auf der Zunge. Da es aber jetzt wieder vermehrt zu Aussagen und Weitergabe kommt, welche schlichtweg nicht wahr sind schreibe ich diesen Blogbeitrag.
Das Wort „keltisch“ ist heute überall: keltische Jahreskreisfeste, keltische Rituale, keltische Pflanzenmagie, keltische Symbole. Doch wie viel davon ist tatsächlich auf die historischen Kelten zurückzuführen? Und was ist eher eine moderne Erfindung, eine poetische Sehnsucht oder sogar eine kulturelle Verzerrung? In diesem Beitrag möchte ich die historischen Fakten, die romantisierten Bilder und die tiefe menschliche Sehnsucht nach Verbundenheit und Sinn in Beziehung setzen. Denn: Wir dürfen das Magische leben – ohne die Geschichte zu verfälschen.
Wer waren die Kelten wirklich?
Der Begriff „Kelten“ stammt nicht von den Kelten selbst, sondern wurde von antiken Autoren wie Herodot und Caesar geprägt. Gemeint waren verschiedene europäische Stämme mit ähnlicher Sprache und Kultur, die zwischen 800 v. Chr. und der Zeitenwende in weiten Teilen Europas lebten – von Irland bis Anatolien. Sie hinterließen beeindruckende archäologische Funde (z. B. Hallstatt- und Latène-Kultur), aber nur wenige eigene schriftliche Zeugnisse. Unser Wissen basiert daher auf archäologischen Funden, griechisch-römischen Berichten und später auf mittelalterlicher irischer Literatur.
Quellen:
Barry Cunliffe: The Celts: A Very Short Introduction, Oxford University Press, 2003.
Raimund Karl: Kelten – Realität oder Konstruktion?, 2004.
Miranda Green: The World of the Druids, 1997.
Was ist mit den „keltischen“ Jahreskreisfesten?
Der sogenannte „keltische Jahreskreis“ mit acht Festen (Samhain, Yule, Imbolc, Ostara, Beltane, Litha, Lughnasadh, Mabon) ist in dieser Form eine moderne Konstruktion. Nur vier davon – Samhain, Imbolc, Beltane und Lughnasadh – lassen sich tatsächlich in frühmittelalterlichen irischen Quellen nachweisen:
Samhain: Totenfest und Beginn des keltischen Jahres (Quelle: „Tochmarc Emire“)
Imbolc: Fest der Frühlingsahnung, später mit Brigid verbunden (Quelle: Sanctan's Life of St. Brigid)
Beltane: Fruchtbarkeits- und Feuerfest (Quelle: Irish Law Tract)
Lughnasadh: Erntefest, benannt nach dem Gott Lugh (Quelle: Cath Maige Tuired)
Die anderen vier Sonnenfeste stammen aus germanischem Kontext oder wurden in der Wicca-Bewegung im 20. Jahrhundert hinzugefügt.
Quellen:
Ronald Hutton: The Stations of the Sun, 1996.
Máire MacNeill: The Festival of Lughnasa, 1962.
Die Sage von der Schlüsselblume: Gibt es sie wirklich im Keltischen?
Die weit verbreitete Geschichte, dass die Schlüsselblume ein goldener Schlüssel zur Anderswelt sei, ist wunderschön – aber keine belegte keltische Sage. Tatsächlich stammt dieses Motiv eher aus mitteleuropäischen Volksmärchen (z. B. Grimm, Tiroler Sagen), in denen eine goldene Schlüsselblume versteckte Höhlen oder Feenreiche öffnet. In irischer und walisischer Überlieferung gibt es zwar Geschichten über Feenhügel (Sídhe) und magische Pflanzen, doch die Schlüsselblume als Toröffner ist dort nicht belegt.
Quellen:
Grimm: Deutsche Sagen, 1816.
Lady Wilde: Ancient Legends, Mystic Charms, and Superstitions of Ireland, 1887.
Yeats: Fairy and Folk Tales of the Irish Peasantry, 1888.
Warum wird alles als „keltisch“ bezeichnet?
Die starke Sehnsucht nach Naturverbundenheit, Spiritualität und alten Weisheiten führt dazu, dass vieles vorschnell als „keltisch“ deklariert wird. Bereits im 18./19. Jahrhundert begannen Romantiker, die Kelten als edle Wilde zu idealisieren. Im 20. Jahrhundert griffen Neopaganismus und Esoterik diese Bilder auf. „Keltisch“ wurde zu einem emotional aufgeladenen Begriff – für das Ursprüngliche, Mystische, Natürliche. Leider oft ohne historische Grundlage. Aber auch das es sich besser "verkaufen" lässt spielt bei vielen eine große Rolle.
Das Problem:
- Die wirkliche Geschichte wird überlagert.
- Kulturelle Aneignung ohne Kontext findet statt.
- Der Zugang zu echter Tiefe wird verstellt.
- Glaubwürdigkeit ist nicht mehr gegeben.
Warum auch vermeintliche „Experten“ oft irreführen
Besonders bedenklich ist, dass auch vermeintliche Expertinnen, Autorinnen und Seminarleiter*innen diese romantisierten Bilder unkritisch weitergeben. Oft basieren ihre Aussagen auf anderen populärwissenschaftlichen Quellen oder spirituellen Sekundärliteraturen, ohne dass sie Primärquellen oder archäologische Forschung wirklich einbeziehen. Die Wiederholung wird zur „Wahrheit“, obwohl sie nie belegt war. Dadurch verfestigen sich Mythen, die den Blick auf die wahre Komplexität und Tiefe der Geschichte verstellen. Das ist nicht nur ungenau, sondern auch respektlos gegenüber den echten historischen Kulturen und stellt die Glaubwürdigkeit und Sorgfalt der "Experten" in Frage. Was von allem ist noch "nur weitergegeben" ohne selbst etwas dafür zu tun, es zu hinterfragen, für sichere Weitergabe zu sorgen!?
Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Magie
Wir müssen nicht in alte Illusionen flüchten, um ein bedeutungsvolles, naturverbundenes Leben zu führen. Die Jahreskreisfeste sind wundervoll – auch ohne das Label „keltisch“. Die Schlüsselblume ist magisch, weil sie Frühling und Hoffnung verkörpert – nicht, weil es eine "keltisch" Sage gibt. Und Spiritualität ist dann am stärksten, wenn sie ehrlich, offen und respektvoll mit der Vergangenheit umgeht.
Wir dürfen neu interpretieren, feiern, gestalten – aber ohne zu behaupten, es sei alt, wenn es neu ist. Das ist nicht weniger magisch. Im Gegenteil: Es ist aufrichtiger.
Die Kelten waren komplexe, faszinierende Menschen mit einer reichen Kultur. Vieles an ihrem Erbe ist verloren, manches ist überliefert, vieles aber wird heute frei erfunden. Das ist nicht grundsätzlich schlimm...solange wir wissen, was wir tun. Zwischen historischen Fakten und modernen Mythen liegt ein fruchtbarer Boden für Sinn, Symbolik und lebendige Spiritualität. Lassen wir ihn ehrlich erblühen.
💚🙏
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Es ist schon eigenartig wie wir Menschen immer versuchen, alles in eine bestehende Schublade zu stecken und durch Benennung zu entmystifizieren. Mit diesem Artikel sprichst du mir ganz aus der Seele 💙🙏